Geschichten

Spenderkind: „Ich hatte noch nie das Bedürfnis, meinen leiblichen Vater zu treffen“

Für Dina Winther Hansen war es kein Drama, als sie eins und eins zusammenzählte und verstand, dass sie ein Spenderkind ist. Sie meint: „Es gibt so viel im Leben, das mir wichtiger ist. Spenderkind zu sein ist nichts, was meinen Alltag prägt – und nichts, was mein Leben ausmacht.“

May 04, 2021
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Helle Tyllesen

„Oft werde ich gefragt, wie es war, als ich herausfand, dass ich ein Spenderkind bin. Aber diesen einen Moment gab es für mich gar nicht. Dass ich Spenderkind bin, ist seit jeher Teil meiner Geschichte und war noch nie ein Geheimnis. Seit ich denken kann, erzählen mir meine Eltern, dass meine Schwester und ich dank der Hilfe eines Samenspenders zur Welt gekommen sind. Es war sozusagen eine Geschichte mit einem fortlaufenden Informationsfluss. Später konnte ich dann einen Zusammenhang zwischen den ganzen Teilen herstellen“, erzählt die 23-jährige Dina Winther Hansen über eine Internetschaltung aus dem Oman, wo sie im Rahmen ihres Arabistik- und Islamstudiums an der Universität Aarhus gerade ein Auslandssemester absolviert:

„Das ist ein Teil einer natürlichen Geschichte, die die Voraussetzung dafür war, dass es mich und meine Schwester gibt.”

Was bedeutet, „Hilfe zu bekommen"?

Dina ist in Hasle aufgewachsen, einer Vorstadt von Aarhus - im Villenviertel mit Mutter, Vater und ihrer vier Jahre jüngeren Schwester. Ihre Eltern – insbesondere Dinas Mutter – kamen oft auf das Thema zu sprechen, wenn sie über Dinas Geburt, die Schwangerschaft ihrer Mutter usw. sprachen. Es gab immer dieselbe Erklärung und Offenheit: „Wir sind in eine Fertilitätsklinik gegangen und haben uns Hilfe geholt.“

Der Moment, der am nächsten an einen entscheidenden Moment in ihrer Geschichte als Spenderkind herankam, war ein Tag im Garten, als sie etwa 8 Jahre alt war. Mit zunehmendem Alter wuchs auch die Neugier der Schwestern. Denn was meinten die Eltern eigentlich mit „Hilfe zu bekommen“?

Dass ich ein Spenderkind bin, ist ein wichtiger, aber nur kleiner Teil von mir – eine Tatsache – aber nichts, dem ich viel Wert beimesse – das macht mein Leben nicht aus.

„Die Erinnerung schwindet, aber das Gefühl, daran kann ich mich genau erinnern. Es war so, als hätte man etwas immer wieder erklärt bekommen, und plötzlich verstand ich einen kleinen, aber wichtigen Teil des großen Ganzen. So etwa, als hätte man eine komplizierte mathematische Gleichung gelöst. Ich konnte dann auch eins und eins zusammenzählen, als meine Mutter mir erzählte, dass sie einen Samenspender genutzt haben. Ich erinnere mich, dass es das erste Mal war, dass sie mir das konkret sagte“, erzählt Dina.

Sie beschreibt, dass sie weder Wut noch Erleichterung verspürte. Eher ein neutrales und feststellendes Gefühl. Die Mädchen verstanden nicht, was damit eigentlich gemeint war, und die Neuigkeit hatte keine große Auswirkung auf ihr Familienleben.

Eine Nummer auf einem Stück Papier

Dina erzählte es ihren Freunden in der Schule. Die Reaktion: „Also wer ist dann dein richtiger Vater?“

„Die Frage leuchtete mir überhaupt nicht ein. Sie erschien mir so abstrakt. Denn natürlich war mein aktueller Vater auch mein richtiger Vater. Aber was wäre, wenn mein Vater denkt, dass er nicht mein richtiger Vater ist? Davor hatte ich wirklich Angst.”

Meine Schulkameraden fragten auch nach dem Samenspender. Ist er vielleicht aus Italien? Dinas Freunde meinten, dass ihr Temperament südländisch sei. Also ging sie nach Hause und fragte ihre Eltern, was sie eigentlich über den Mann wussten, der den Samen gespendet hatte. Sie konnten ihr jedoch nicht viel berichten, wussten jedoch, dass er kein Italiener war. Die Eltern hatten sich für einen Spender mit derselben Haar- und Augenfarbe wie sie entschieden. Das und der Namen der Klinik war eigentlich alles, was es an Informationen gab. In den 90ern, als ihre Mutter befruchtet wurde, gab es noch nicht die Möglichkeit eines offenen Spenders, wie es heutzutage der Fall ist. Die Gesetzgebung war damals auch ganz anders, mittlerweile können sich Spenderkinder über das Profil des Samenspenders erkundigen, ganz egal, ob es sich um einen offenen oder nicht offenen Spender handelt.

„Mein Spender ist eine Zahl auf einem Stück Papier und für mich komplett anonym. Und das ist in Ordnung so! Ich habe kein Verlangen nach einer Beziehung. Für unsere Familie gibt es so viel mehr, das zählt. Spenderkind zu sein ist nichts, was mich im Alltag beschäftigt, und nichts, das ich aufarbeiten muss“, sagt Dina.

Halbschwestern, aber trotzdem Schwestern

Dina und ihre Schwester könnten nicht unterschiedlicher sein. Dina ist ein dunkler Typ, ihre Schwester ein heller. Die Leute haben sich schon immer darüber gewundert, dass sie Schwestern waren.

„Später fragte ich, ob meine Schwester und ich denselben Spender hatten. Die Antwort lautete Nein. Dass meine Schwester plötzlich nur noch meine Halbschwester war, war eine große Sache. Das kratzt ein wenig am allgemeinen Verständnis einer Familie, aber für mich ändert es absolut nichts daran, dass wir Schwestern sind.“

Dinas Eltern, die sich später scheiden ließen, trafen sich als 29- bzw. 31-Jährige. Erst spät in ihrer Beziehung entschieden sie sich, Kinder zu bekommen. Dinas Vater wusste, dass es um seine Fruchtbarkeit nicht gut bestellt war. Als sie den Entschluss fassten, einen Samenspender zu nutzen, dachten sie nicht daran, weiteren Samen einfrieren zu lassen. Daher haben die Kinder nicht den selben biologischen Vater.

Die Eltern hatten die Entscheidung jedoch unter der Voraussetzung getroffen, offen damit umzugehen, einen Samenspender genutzt zu haben. Und auch ihren Kindern gegenüber wollten sie die Sache offen angehen, daher haben sie von Beginn an mit ihnen darüber gesprochen. 

Dass meine Eltern uns die Informationen Stück für Stück gegeben haben, also in Häppchen, die wir zum jeweiligen Zeitpunkt in unserem Leben verdauen konnten, war die richtige Herangehensweise und für mein aktuelles Selbstverständnis als Spenderkind von entscheidender Bedeutung.

„Dass ich ein Spenderkind bin, ist ein wichtiger, aber nur kleiner Teil von mir – eine Tatsache – aber nichts, dem ich viel Wert beimesse – das macht mein Leben nicht aus. Ganz im Gegenteil war Offenheit das Stichwort unserer Geschichte. Und ich weiß, dass ich jederzeit nach Hause gehen kann und Antworten auf alle meine Fragen bekomme. Außerdem ist es wichtig, dass meine Schwester und ich im selben Boot sitzen“, sagt Dina, die bereits einen Vortrag bei der European Sperm Bank über ihre Geschichte als Spenderkind gehalten hat.

Meine Eltern haben mich geformt

Spenderkind zu sein ist für Dina kein Tabu. Ihre Erfahrung: Je mehr sie darüber spricht, desto besser ihr eigenes und das Verständnis anderer.

„Was ich über meinen Spender denke? Ich kann mir kein Gesicht vorstellen. Ein Mann, der irgendwann mal Geld gebraucht hat oder der anderen aufrichtig dabei helfen wollte, ein Kind zu bekommen. Ein Treffen ist rein hypothetisch, aber wenn es soweit wäre, würde ich mich mit ihm wie mit jedem anderen Menschen auch unterhalten. Es wäre jedoch spannend, von seinen Überlegungen damals zu hören, und ob er in den ganzen Jahren an die Kinder gedacht hat, zu deren Existenz er beigetragen hat. Mehr würde er mir nicht bedeuten und ich würde ihn niemals meinen Vater nennen. Ich HABE einen Vater, und das bedeutet mir alles. Er war es, der immer für mich da war, und es waren meine Eltern, die mich zu dem Menschen gemacht haben, der ich jetzt bin“, betont Dina.

Gibt es irgendwas an deiner Geschichte, das deiner Meinung nach anders hätte angegangen werden sollen?

„Nein. Ich rechne es meinen Eltern hoch an, dass sie uns die Informationen häppchenweise - unter Rücksicht auf unser Alter - gegeben haben. Das war ganz entscheidend für meinen aktuellen Umgang mit der Tatsache, ein Spenderkind zu sein. Es wäre viel zu spät gewesen, davon erst als 18-Jährige zu erfahren.“