Geschichten

Kristoffer ist unfruchtbar: „Als ich davon erfuhr, brach für mich eine Welt zusammen“

Was passiert, wenn ein Mann erfährt, dass er unfruchtbar ist? Ein Mann, für den es schon vollkommen klar war, dass er ein Kind bekommen möchte? Für Kristoffer Vitting-Seerup war es eine Geschichte des totalen Zusammenbruchs, des Aufrappelns und – nach langem Überlegen – der Entscheidung für einen Samenspender, damit die kleine Meta zur Welt kommen kann.

June 10, 2021
5 Min. Lesedauer
Helle Tyllesen

Kristoffer und Sabrina Vitting-Seerup.

Anfang 2017 bekam Kristoffer Vitting-Seerup von seinem Arzt eine niederschmetternde Nachricht. Die Nachricht in der Mail zerstörte den größten und wichtigsten Traum, den er und seine Frau Sabrina in ihrem gemeinsamen Leben hatten: Eltern zu werden. Kristoffer ist unfruchtbar. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits neun Monate lang versucht, Schwanger zu werden.

„Ich bin komplett zusammengebrochen. Daraus ergaben sich große Konsequenzen. Wir ließen uns krankschreiben, lagen auf der Couch und versuchten, einander zu trösten. Bisher war das Kinderkriegen für uns nur eine Frage der Zeit – nicht eine Frage von Ja oder Nein. Daher hat uns die Nachricht so stark mitgenommen“, erzählt der 33-jährige Kristoffer, der im Kopenhagener Viertel Nordvest mit Sabrina und der anderthalbjährigen Tochter Meta zusammenlebt.

Ein Traum zerbricht

Über die darauffolgenden Monate legte sich ein Schleier undurchsichtiger Trauer. Denn was macht man, wenn sich ein Lebenstraum plötzlich in Luft auflöst? Sollten sie überhaupt Kinder haben? Sollten sie überhaupt zusammen sein?

„In dieser Zeit ging es mir wirklich schlecht. Und ich verlor die Kontrolle über meine Gefühle, was für mich untypisch ist. Urplötzlich wurde ich unglaublich traurig. Ich hatte Angst, dass Sabrina mich verlassen würde. Vielleicht wollte sie lieber einen Mann haben, mit dem sie tatsächlich Kinder in die Welt setzen kann?“

Die Devise lautet: Ein echter Mann kann auch Kinder zeugen. Also kann ich – wie auch viele andere – kein echter Mann sein. Diese Denkweise ist auf so vielen Ebenen schädlich.

Kristoffer und Sabrina waren gänzlich darauf vorbereitet, eine Familie zu gründen. Sie kennen sich seit dem Gymnasium und haben über viele Jahre den gemeinsamen Traum entwickelt, eines Tages gemeinsame Kinder zu haben. Zu allem Überfluss kamen dann auch noch viele befreundete Paare mit der Botschaft um die Ecke, dass sie ein Kind bekommen werden, was für Kristoffer und Sabrina eine besondere Herausforderung darstellte. Kristoffer fragte sich: „Warum funktioniert es bei ihnen, aber nicht bei uns?"

Mit dem unzweifelhaften Bescheid des Arztes platzte ihr Traum, auf traditionelle Weise Kinder in die Welt zu setzen. Sabrina und Kristoffer mussten eine andere Lösung finden.

Die große Entscheidung, sich in Fruchtbarkeitsbehandlung zu begeben

Während Sabrina und Kristoffer versuchten, mit ihrer neuen Realität klarzukommen, entschieden sie sich, offen mit ihrer Situation umzugehen. Sie erzählten es Freunden und Familie und trafen dabei auf viel Verständnis und Unterstützung. Mit der Offenheit kamen auch neue Erkenntnisse zum Vorschein. Viele Leute in ihrem Umfeld berichteten von anderen befreundeten Paaren, die an Fruchtbarkeitsproblemen litten.

„Es gibt so viele, die beim Schwangerwerden Hilfe brauchen. Warum sprechen wir nicht darüber? Vor allem, wenn es ein so weit verbreitetes Problem ist? Vielleicht können wir anderen durch unsere Offenheit helfen?“, dachten sich Kristoffer und Sabrina, während sie sich selbst inmitten ihrer großen Lebenskrise befanden.

Sie erlebten aus erster Hand, dass Fruchtbarkeitsprobleme noch immer ein Tabuthema sind. Vielleicht findet gerade ein Umbruch statt, aber der Weg bis zum Ziel ist noch weit.

„Das Thema ist so sensibel und privat, daher tendiert man dazu, es für sich zu behalten. Als Gesellschaft sind wir noch immer von der stereotypischen Vorstellung eines „echten Mannes“ geprägt. Die Devise lautet: Ein echter Mann kann auch Kinder zeugen. Also kann ich – wie auch viele andere – kein echter Mann sein. Diese Denkweise ist auf so vielen Ebenen schädlich“, sagt Kristoffer.

Das Paar nutzte die folgenden Monate, um sich zu sammeln und psychologische Hilfe einzuholen. Sabrina brachte schnell zur Sprache, dass sie einem Samenspender gegenüber offen ist. Kristoffer hingegen brauchte mehr Zeit, um sich darüber Gedanken machen. Vier Monate später waren sie bereit, eine große Entscheidung zu treffen. Das Fazit: Der Kinderwunsch ist ihnen wichtiger, als Kristoffers Gene weiterzugeben.

Was ist ein echter Vater?

Kristoffer war jedoch um die zukünftige Beziehung zu einem Kind besorgt, das mit der Hilfe eines Samenspenders zur Welt kommen würde.

„Ich musste sicher sein, dass ich es nicht bereuen würde. Falls wir uns dazu entscheiden würden, dürfte sich das auf keinen Fall auf die Beziehung zum Kind auswirken. Man stelle sich nur vor, dass man sich das Kind ansieht und nicht das Gefühl hat, sein echtes Kind vor sich zu haben. Wenn ich heute daran zurückdenke, war es zum Glück nur eine Furcht und ein irrationales Gefühl und nichts, was ich dann tatsächlich verspürt habe.“

Es gibt den biologischen Vater und den Vater, der das Kind großzieht. Die Person, die jeden Tag für das Kind da ist, ist mehr der richtige Vater.

Trotzdem würde die Familiensituation eine andere sein, als es sich das Paar jahrelang erträumt hatte. Und Kristoffer würde nicht die Chance haben, seine Gene weiterzugeben. An diesen Gedanken musste er sich gewöhnen.

„Ich musste den Begriff „Vater“ für mich erweitern. Es gibt den biologischen Vater und den Vater, der das Kind großzieht. Aber die Person, die jeden Tag für das Kind da ist, ist viel eher der richtige Vater. Das ist der richtige Vater – und das ist meine Rolle.“

Die schwierige Entscheidung, einen Samenspender auszuwählen

Bei der Samenbank gab es hunderte potentieller Samenspender. Wie trifft man da die richtige Wahl? Kristoffer und Sabrina einigten sich darauf, dass jeder ein Kriterium festlegen kann, dem der andere nicht widersprechen darf. Kristoffer war die Ausbildung des Spenders wichtig, Sabrina die Körpergröße. Nach dem Filtern blieb noch eine Handvoll Kandidaten übrig.

Ein gemeinsames Kriterium des Paars bestand darin, dass das Kind ihnen ähneln sollte. So wäre es in Zukunft einfacher, Nachfragen zum Aussehen des Kindes zu vermeiden. Daher entschieden sie sich für einen Kandidaten, der den kommenden Eltern ähnlich sah. Heutzutage bekommt Kristoffer oft zu hören, dass Meta „genau wie der Papa“ aussieht.

„Es hat mich wirklich überfordert, einen Ersatz für mich finden zu müssen. Um so weniger ich über den Spender weiß, desto besser. Daher habe ich mir die zusätzlichen Infomaterialien, die dem Profil beigelegt waren, auch gar nicht angesehen. Aber wir haben alles aufbewahrt. Umso wirklicher die Person ist, desto schwieriger wird es“, meint Kristoffer und fährt fort:

„Das ist eine Art Abwehrreaktion. Das Material könnte ich innerhalb von 30 Sekunden auf meinem Rechner heraussuchen, aber ich komme da nicht in Versuchung. Ich halte die Informationen immer auf Abstand, ansonsten würde es für mich zu schwierig.“

Das beste Weihnachtsgeschenk

2018 erhielten Kristoffer und Sabrina das schönste Weihnachtsgeschenk, das man sich wünschen kann – einen positiven Schwangerschaftstest. Anderthalb Jahre und 14 Behandlungen später kam Meta im September 2019 auf die Welt. Vielleicht bekommt sie eines Tages noch ein kleines Geschwisterchen. Für diesen Fall haben wir Eizellen einfrieren lassen.

Rückblickend findet Kristoffer, dass die ganze Prozedur sehr komplex und kräftezehrend war. Daher meint er heute, dass sie vielleicht eher eine Pause während der Fruchtbarkeitsbehandlung hätten machen sollen. Denn es war wirklich eine sehr intensive Zeit.

Deshalb lautet sein einfacher Tipp an unfruchtbare Männer, sich Zeit zu nehmen.

„Zuallererst muss man mit sich selbst und der Entscheidung im Reinen sein. Wenn man die Entscheidung zu schnell trifft, riskiert man, dass es eine unangenehme Erfahrung wird. Gib der Sache genug Zeit. Du wirst ein „echter Vater“ werden. Genauso wie alle anderen es sehen werden, ist Meta - ganz unabhängig von ihrer biologischen Herkunft – MEINE Tochter.“

Kristoffer und Sabrina Vitting-Seerup haben den Podcast ”Hvor bliver du af?” [Wo bleibst du?] ins Leben gerufen, der im Rahmen der Serie „Saga Talks“ erschienen und über eReolen, Podimo und weitere E-Book-Portale verfügbar ist. Der Podcast wird von der European Sperm Bank gesponsort.